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Geodaten und Karten im Kampf für das gute Leben für alle

· 8 Minuten Lesezeit
Fedora

Wir leben in einer Zeit, in der viele Krisen zusammen auftreten und miteinander verbunden sind. Klimakatastrophe und der Verlust der Biodiversität bedrohen unsere Lebensgrundlagen, riesige Vermögensungleichheiten, sowohl zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden als auch in den jeweiligen Gesellschaften sorgen mit für soziale Krisen, Rassismus und Nationalismus bedrohen unser Zusammenleben und Errungenschaften im Kampf für Gleichberechtigung und gegen Rassismus. Doch viele Menschen kämpfen für den Traum einer solidarischen Welt, für Klimagerechtigkeit, für soziale Gerechtigkeit, für Gleichberechtigung und gegen Rassismus und Faschismus. Diese Kämpfe haben eine große Aktions- und Methodenvielfalt hervorgebracht. Die Kämpfe finden auf den Straßen, in Parlamenten, mit Demonstrationen, Streiks, direkten Aktionen, Sabotage, zivilen Ungehorsam u.v.m. statt. Wie passt eine GeoDatenGuerilla in diese Kämpfe? Geodaten und Karten können ein Werkzeug für den Kampf um eine bessere Welt sein. Das Ziel der GeoDatenGuerilla ist es, dieses Werkzeug zu nutzen und den kämpfenden Bewegungen zur Verfügung zu stellen: Mit der Erstellung von Karten (interaktive Online-Karten und zum Download), Skillshares und der zur Verfügungstellung von Infrastruktur. Doch wie können uns Geodaten und Karten im Kampf für eine bessere Welt unterstützen? Dieser Text, gestützt auf sozialwissenschaftlichen Forschungen zur "kritischen Kartographie" und "Critical GIS", soll erste Antworten und Grundlagen liefern.

Karten sind neutral!

„Eine Karte ist ein verkleinertes, vereinfachtes und verebnetes Abbild der Erdoberfläche, ggf. einschließlich mit ihr in Verbindung stehender Sachverhalte, und die Kartographie ist das Fachgebiet, welches sich mit der Herstellung derartiger Abbilder befasst“ (Kohlstock 2014, S. 17).

Dies ist ein Satz, wie er wohl in vielen Kartographie-Lehrbüchern zu finden ist. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Karten die Wirklichkeit abbilden und so werden Karten bis heute realistisch modelliert (Glasze 2009, S. 182). Und wie kann es anders sein? Durch Google Maps, die Weltkarte der Abendnachrichten, der Schulatlas oder der sympathische Reiseführer, wir sind in der heutigen Zeit umgeben von Karten. Karten, von denen wir glauben, dass diese die Realität wiederspiegeln. Karten, welche uns glauben lassen, dass diese das reine Ergebnis einer Vermessung und Visualisierung der Welt sind, frei von politischen, kulturellen oder sozialen Einflüssen. Das obenstehende Zitat verdeutlicht dies und steht stellvertretend für diese Selbstverständlichkeit, wie sie in vielen Kartographie-Lehrbüchern zu finden ist und wie sie wohl viele Menschen wahrnehmen.

Geodaten und geographische Informationen

Karten sind das sichtbare Ergebnis eines Prozesses, das u.a. aus Kartieren, Sammeln von Daten und deren Verknüpfung mit bekanntem Wissen besteht. Karten sind am Ende dieses Prozesses die gängige Methode, die räumlichen/geographischen Informationen und (Geo-)Daten darzustellen. Die wichtigste Eigenschaft von geographischen Informationen ist ihr Raumbezug, also die Möglichkeit, diese einem Ort in der Realität zuzuordnen, bspw. über eine Karte. Informationen entstehen durch die Verknüpfung von Daten mit abgeleitetem oder bekanntem Wissen. Geodaten sind Merkmalswerte, die sich auf einen Raum beziehen und diesen repräsentieren können (z.B. Flächengröße einer Waldparzelle) (Kappas 2012, S. 8 ff). Bereits das Sammeln von Daten und das Gewinnen von Informationen aus ihnen ist ein sozialer Prozess, mit dem sich Wandel anstoßen und Gegenmacht aufbauen lässt (vgl. Pavlovskaya 2018 und Elwood 2022). Geodaten haben in den letzten Jahrzehnten eine Schlüsselstellung in der Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaften auf der Welt errungen. Viele Anwendungen, die auf Geodaten aufbauen, bspw. in der Umweltüberwachung, der Nutzung natürlicher Ressourcen, der Verkehrsplanung, der Raumplanung und amtliche Statistiken, besitzen eine große gesellschaftliche und politische Relevanz (Kappas 2012, S. 8 ff). Kommerzielle Anwendungen, die auf Geodaten aufbauen, wie Google oder Apple Maps, sind mittlerweile selbstverständliche Teile unseres Lebens geworden. Damit sind Geodaten auch wichtige Bestandteile datengetriebener Geschäftsmodelle geworden (Glasze 2014, S. 125 f). Geodaten werden aber auch für rassistische Praktiken, staatliche und private Repressionen und Überwachung genutzt (Elwood 2022, S. 436). Es zeigt sich also, dass das Sammeln und der Besitz von Geodaten Akteur*innen Macht verleiht, was aber auch im Gegenzug bedeutet, dass sich damit auch Gegenmacht aufbauen lässt.

Karten sind nicht neutral!

Karten sind nicht neutral! Karten spiegeln gesellschaftliche Machtstrukturen wieder, werden von bestimmenten (Macht-)Interessen geprägt, und reproduzieren diese. Die sozialen Strukturen der Entstehungszeit der Karte finden sich in der Karte und im Prozess der Kartenschaffung wieder und stellen damit (soziale) Wirklichkeiten her (Glasze 2014, S. 123 f). Dies zeigt sich an einem einfachen Beispiel. Viele Menschen haben als Bild von der Welt die "klassische" Weltkarte in der Mercator-Projektion im Kopf, die in wohl fast jedem Klassenzimmer hängt. Die Mercator-Projektion ist eine winkeltreue Projektion, die Flächen verzerrt. So werden Flächen, je weiter sie sich im Norden oder Süden der Karte befinden, immer größer. Gemäß dem Prinzip der Ethnozentrizität stellen die Erschaffenden der Karte sich selbst ins Zentrum. Das führte dazu, dass diese Weltkarten genordet werden und die größer wirkenden Flächen von Nordamerika und Europa in die Mitte der Karte gelegt werden. Dazu kommt, dass die moderne, digitalgestützte Kartographie und Geodatenverarbeitung in ihren Anfängen fest in der Hand von Staaten und Unternehmen waren und enormes, auf Nordamerika und Europa konzentriertes Fachwissen benötigten. Wir sind also geprägt von einem im Zentrum stehenden Europa und Nordamerika, die auch noch größer wirken als sie eigentlich sind (Glasze 2009, S. 183; Glasze 2014, S. 124; Pavlovskaya 2018, S. 42). Dazu kommt, dass Karten, ähnlich wie Bildern, eine hohe Evidenz zugesprochen wird, "denn sie zeigen, was ist" (Glasze2009, S. 184 f). Es wird also folgendes deutlich: Karten sind keine neutralen Wissenserklärungen, sie produzieren (soziale) Weltbilder. Diese Eigenschaften lassen sich im Gegenzug aber auch nutzen, um Gegenmacht aufzubauen (Pavlovskaya 2018, S. 52).

Mit Geodaten und Karten kämpfen lernen

Wir sehen also, die Nutzung von Geodaten und Karten hat Potenzial, Teil von Kämpfen für eine bessere Welt zu sein. Wenn wir progressive geographische Vorstellungen mit konkret greifbaren Karten verschmelzen, können sie Werkzeuge einer sozialen Transformation sein (Pavlovskaya 2018, S. 41). Das Potenzial ist auch deswegen sehr groß, weil sich die für Geodatenverarbeitung und Kartographie notwendigen Technologien stark verbreitet und dezentralisiert haben und mit Social-Media verbunden werden können. Es gibt mittlerweile unzählige Tools, mit denen sich im Internet interaktive Karten bereitstellen lassen, was dank open-source auch kostengünstig möglich ist. Auf diese Weise lassen sich Communities um Mapping-Projekte aufbauen (Pavlovskaya 2018, S. 42f). Auf der ganzen Welt gibt es Aktivist*innen, die mit Hilfe von Geodaten und Karten auf kreative Art und Weise Politik machen. Ob im Kampf gegen Gentrifizierung in Städten, für die Rechte von Indigenen, für mehr Mitbestimmung in Planungsprozessen, gegen rassistische Polizeiarbeit u.v.m. (vgl. Elwood 2022 und Pavlovskaya 2018).

Geograph*innen aller Länder vereinigt euch

Wir sehen also, Geodaten und Karten haben das Potenzial, ein Werkzeug für den Kampf um eine bessere Welt zu sein. Dazu kommt, dass der Zugang zu Werkzeugen für Geodatenverarbeitung und Kartographie so einfach ist, wie nie zuvor, und Projekte wie OpenStreetMap und der (erkämpfte) Trend zu OpenData sorgen für eine Demokratisierung von Geodaten und Karten. Aus dem bisherigen Text und Überlegungen beim Verfassen gehen erstmal drei Ansatzpunkte hervor, was getan werden kann. Diese sind natürlich nicht abschließend und es gibt sehr viel mehr Möglichkeiten und Ansätze.

  • Das Sammeln von (Geo-)Daten, sowohl von welchen, die frei verfügbar sind, bspw. OpenData-Datensätze oder Planunterlagen von (Bau-)Projekten, als auch selbst gesammelte (Geo-)Daten aus bspw. Kartierungen. Mit diesem Prozess lassen sich auch Machtstrukturen aufbrechen und die Hoheit über (Geo-)Daten erlangen, indem Daten gesammelt und zusammengetragen werden, die sonst nicht von offiziellen Stellen oder Privatunternehmen gesammelt werden. Die (Geo-)Daten lassen sich durch offene Lizenzen und Projekte wie OpenStreetMap auch anderen Kämpfen zur Verfügung stellen und in Diskurse eingebracht werden.
  • In den Karten als die konventionelle Darstellung von Geodaten lassen sich die Sachverhalte in den Fokus stellen, die die Menschen in den politische Kämpfe wichtig finden. Dies kann damit auch ein Werkzeug sein, von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffenen Menschen und Gruppen (bspw. in sogenannten "Sozialen Brennpunkten" oder Indigene) die Hoheit über die eigene Darstellung zu geben.
  • Mit der Verbreitung von (Geo-)Daten und Karten über verschiedene Kanäle werden diese zugänglich für viele verschiedene Menschen. Mit interaktiven Karten können diese einbezogen werden. Das kann hilfreich in der Agitation oder in der Sichtbarmachung und Mobilisierung von Problemstellungen sein. Selbst das Aufmerksammachen von bereits vorhanden (Geo-)Daten oder die Befreiung von Informationen durch IFG-Anfragen, bspw. über FragDenStaat, ist eine wichtige Aktionsform.

Darum liebe Geograph*innen, Geoinformatiker*innen, Kartograph*innen und alle anderen, die sich mit Karten, GIS und Geodatendatenverarbeitung auskennen: Bringt Eure Fachkenntnisse ein, empowered Menschen, Karten zu nutzen und gebt Euer Wissen weiter. Und alle Menschen, die sich für Karten interessieren oder fasziniert von ihnen sind: Setzt Eure Ideen um. Es ist so einfach wie nie zuvor. Schließt Euch der GeoDatenGuerilla an.

Literatur

Elwood, S. (2022): Toward a Fourth Generation Critical GIS: Extraordinary Politics. In: ACME: An International Journal for Critical Geographies 21 (4), S. 436-447.
Glasze, G. (2009): Kritische Kartographie. In: Geographische Zeitschrift 97 (4), S. 181-191.
Glasze, G. (2014): Sozialwissenschaftliche Kartographie-, GIS- und Geoweb-Forschung. In: KN - Journal of Cartography and Geographic Information 64 (3), S. 123-129.
Kappas, M. (2012): Geographische Informationssysteme. 2. Auflage. Braunschweig.
Kohlstock, P. (2014): Kartographie: Eine Einführung. 3. Auflage. Paderborn.
Pavlovskaya, M. (2018): Critical GIS as a tool for social transformation. In: The Canadian Geographer / Le Géographe canadien 62 (1), S. 40-54.