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GeographyForFuture: Mit Geodaten Politik machen

· 7 Minuten Lesezeit
Fedora

Beim WebMontag 2/2023 habe ich den Vortrag "GeographyForFuture: Mit Geodaten Politik machen" gehalten. In diesem habe ich, anhand der Vorgeschichte der GeoDatenGuerilla und einem Praxisbeispiel, einen Ansatz vorgestellt, wie sich Geodaten politisch nutzen lassen. Ich möchte an dieser Stelle die Vortragsinhalte und meine Notizen verschriftlichen und auf diese etwas tiefer eingehen, als dies im Vortrag möglich war. Außerdem habe ich bereits einen Blog-Artikel veröffentlicht, der das Vortragsthema aufgreift. Die Vortragsfolien sind hier zu finden. webmontag-02-23-deckblatt.png

Vorgeschichte

Ich fand Karten schon immer toll und war sehr faszieniert von ihnen. Im Geographie-Studium habe ich dann endlich gelernt, mit Hilfe von GIS Karten zu erstellen. Außerdem lernte ich die Erfassung, Verwaltung und Analyse von Geodaten mittels GIS. Im humangeographischen Teil des Studiums beschäftigte ich mich mit Karten als Machtinstrument und lernte die kritische Kartographie kennen. Gleichzeitig fing ich im Studium an, mich klimapolitisch zu engagieren. Bei den Protesten gegen den Aus- und Neubau der A21 und Südspange in Kiel fing ich an, Karten des Straßenbauprojekts auf Basis der offiziellen Plankarten zu erstellen. Daraus entwickelte sich dann die Idee, Geodaten und Karten, auf Basis der Theorien "Critical GIS" (GIS als Werkzeug sozialer Transformation) und "kritische Kartographie" (kritische Auseinandersetzung mit Karten und Kartographie), mehr in politische Auseinandersetzungen einzubringen. GeoDatenGuerilla, seit Ende 2022 online, ist das Ergebnis.

Begriffserklärungen

Zunächst möchte ich zwei Begriffe, die bereits gefallen sind, klären. Zum einen GIS. GIS steht für Geo(graphisches) Informationssystem. Dies ist Software, mit der sich Geodaten erfassen, verwalten, analysieren und präsentieren lassen. Die am weitesten verbreiteten GIS sind das proprietäre ArcGIS von ESRI und das freie QGIS. Für die Arbeit in der GeoDatenGuerilla nutze ich QGIS. qgis-mitmachen-screenshot.png In dem Bild sieht mensch einen Screenshot von QGIS, in welchem die Dateien für die A20-Kartenanwendung geöffnet sind. Dabei ist zu sehen, dass die Plankarten an der Stelle georeferenziert sind und somit die Trasse abgezeichnet werden kann. Außerdem ist das in QGIS genutzte Layer-Prinzip zu erkennen. Layer sind Kartenebenen, die entsprechend ihrer Reihenfolge gerendert werden. Jeder Layer kann immer einen Datentyp enthalten, nämlich Punkte, Linien, Polygone oder Rasterdaten.

Zum anderen ist der Begriff Geodaten zu klären. Sehr vereinfacht handelt es sich dabei um Daten bzw. Merkmalsausprägungen, die einen räumlichen Bezug haben. Das kann die Größe eines Waldes, die Adresse eines Ortes, der Weg vom Bett zum Kühlschrank u.v.m. sein. Das bedeutet auch, dass Geodaten zentral für unsere Handlungen sind. Sie haben aber auch auf der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ebene eine zentrale Bedeutung. Geodaten finden bspw. in der Umweltüberwachung, Ressourcenmanagement, Verkehrsplanung, Raumplanung etc. Verwendung. Viele kommerzielle Geodaten-Anwendungen bestimmen unseren alltäglichen Tagesablauf, wie Google Maps, dass das Routing unsere Wege berechnet oder durch seine Algorithmen bestimmt, welche Geschäfte wir auf der Karte wann zu sehen bekommen. Geodaten sind damit wichtiger Bestandteil der datengetriebenen Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne. Außerdem werden Geodaten für staatliche und private Repression, rassistische Praktiken und Überwachung eingesetzt. Es zeigt sich also: Geodaten sind ein Machtinstrument.

Wie sich bisher bei der GeoDatenGuerilla und auch am Praxisbeispiel des Vortrags zeigt, ist die gängige Methode, Geodaten darzustellen, die Karte.

Exkurs: Karten sind nicht neutral

Da Geodaten meist mit Karten visualisiert werden, folgt ein kleiner Exkurs in die kritische Kartographie. Denn Karten sind nicht neutral. Da im Vortrag dieser Punkt nur kurz angerissen wurde, möchte ich dies nochmal kurz darstellen. Etwas ausführlicher wird die Problematik, dass Karten keine neutrale Abbildung der Erdoberfläche sind, im ersten Blogpost ausgeführt.

„Eine Karte ist ein verkleinertes, vereinfachtes und verebnetes Abbild der Erdoberfläche, ggf. einschließlich mit ihr in Verbindung stehender Sachverhalte, und die Kartographie ist das Fachgebiet, welches sich mit der Herstellung derartiger Abbilder befasst“ (Kohlstock, P. (2014): Kartographie: Eine Einführung. 3. Auflage. Paderborn. Seite 17)

Diese Definition von Karten und der Kartographie zeigt das Verständnis, dass Karten neutral und mehr oder weniger die Wirklichkeit abbilden. Die kritische Kartographie hinterfragt dieses Paradigma. Denn Karten spiegeln gesellschaftliche Machtstrukturen wieder und werden durch Machtinteressen geprägt. Sie sind keine neutralen Wissenserklärungen der Welt, sondern die sozialen Strukturen ihres Entstehungszeitpunkt sind in ihnen angebildet. Karten produzieren also (soziale) Weltbilder. Im Gegenzug bedeutet das aber auch, dass sie sich dafür auch im eigenen Sinne nutzen lassen.

Mit Geodaten und Karten kämpfen lernen

Was für Ansatzpunkte gibt es nun, mit Geodaten Politik zu machen? Ich möchte einen Ansatzpunkt, den ich "Sichtbarmachen und Einordnen" nenne, an einem Praxisbeispiel vorstellen. Dies möchte ich anhand der schon angesprochenen Karten der A21/Südspange, aus denen sich GeoDatenGuerilla entwickelt hat.

Das folgende Bild ist ein Auschnitt der Plankarte des Planfall 1 der A21/Südspange (Anlage 6 der Drucksache 0277/2016 im Ratsinformationssystem der Stadt Kiel) aus dem Jahr 2016: Planfall1_Screenshot.png Die Karte ist für Laien schwer zu lesen und eine eine Einordnung, was dieses Projekt für die betroffenen Flächen und die Umgebung bedeuten würde, ist nur schwer möglich. Was für Flächen in welcher Größe betroffen sein werden, ist der Karte auch nicht zu entnehmen.

Aus diesem Grund habe ich dann von der Plankarte die Trassen und Flächenverbräuche abgezeichnet und mit offenen Daten verbunden. Daraus ist folgende Karte für eine Aktion entstanden, die danach immer wieder Verwendung fand: 2020_08_19_Uebersichtskarte-Flaechenangaben.png Auf dieser Karte sind die Trassenverläufe sehr viel klarer zu erkennen. Das Ausmaß der benötigten Flächen und in welcher Zahl diese betroffen sein werden, ist nun klar. Außerdem wird in dieser Karte die Aufmerksamkeit klar auf die Grünflächen gelenkt (Karten sind von Machtinteressen geprägt). Mit dieser Karte hatte mensch in den Protesten auf einmal etwas in der Hand, womit sich Gespräche führen ließen und das Ausmaß der Zerstörung klar gemacht werden konnte. Es ließ sich Aufmerksamkeit generieren und konkrete Zahlen in Auseinandersetzungen einbringen.

In der Folgezeit sind weitere Karten entstanden, die für verschiedene Zwecke genutzt wurden: 2021_05_27_Klimaguertel_Karte_Flyer.png 2021_09_02_Neuer-Flyer-Karte.png

Die gezeigten Beispiele sind nur statische Karten, die entweder ausgedruckt oder als pdf-Dateien zur Verfügung gestellt wurden. Die nächste Evolutionsstufe sind interaktive Web-Karten. Zur A21/Südspange ist hier auch eine verfügbar. Mit diesen lassen sich Objekte abfragen, die eigene Position lässt sich orten und damit der betroffene Raum direkt erkunden.

Weitere Ansatzpunkte

Wir sehen also, Geodaten und Karten haben das Potenzial, ein Werkzeug für den Kampf um eine bessere Welt zu sein. Dazu kommt, dass der Zugang zu Werkzeugen für Geodatenverarbeitung und Kartographie so einfach ist, wie nie zuvor, und Projekte wie OpenStreetMap und der (erkämpfte) Trend zu OpenData sorgen für eine Demokratisierung von Geodaten und Karten. Aus dem bisherigen Text und Überlegungen beim Verfassen gehen erstmal drei Ansatzpunkte hervor, was getan werden kann. Diese sind natürlich nicht abschließend und es gibt sehr viel mehr Möglichkeiten und Ansätze.

  • Das Sammeln von (Geo-)Daten, sowohl von welchen, die frei verfügbar sind, bspw. OpenData-Datensätze oder Planunterlagen von (Bau-)Projekten, als auch selbst gesammelte (Geo-)Daten aus bspw. Kartierungen. Mit diesem Prozess lassen sich auch Machtstrukturen aufbrechen und die Hoheit über (Geo-)Daten erlangen, indem Daten gesammelt und zusammengetragen werden, die sonst nicht von offiziellen Stellen oder Privatunternehmen gesammelt werden. Die (Geo-)Daten lassen sich durch offene Lizenzen und Projekte wie OpenStreetMap auch anderen Kämpfen zur Verfügung stellen und in Diskurse einbringen.
  • In den Karten lassen sich die Sachverhalte in den Fokus stellen, die die Menschen, die politischen Kämpfe führen, wichtig finden. Dies kann damit auch ein Werkzeug sein, von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffenen Menschen und Gruppen (bspw. in sogenannten "sozialen Brennpunkten" oder Indigene) die Hoheit über die eigene Darstellung zu geben.
  • Mit der Verbreitung von (Geo-)Daten und Karten über verschiedene Kanäle werden diese zugänglich für viele verschiedene Menschen. Mit interaktiven Karten können diese einbezogen werden. Das kann hilfreich in der Agitation oder in der Sichtbarmachung und Mobilisierung von Problemstellungen sein. Selbst das Aufmerksammachen auf bereits vorhandene (Geo-)Daten oder die Befreiung von Informationen durch IFG-Anfragen, bspw. über FragDenStaat, ist eine Ansatzpunkt.

Schlussworte

Zum Schluss möchte ich noch zwei Literaturempfehlungen geben. Zur kritischen Kartographie:
Glasze, G. (2014): Sozialwissenschaftliche Kartographie-, GIS- und Geoweb-Forschung. In: KN - Journal of Cartography and Geographic Information 64 (3), S. 123-129.
Literaturempfehlung zu Critical GIS:
Pavlovskaya, M. (2018): Critical GIS as a tool for social transformation. In: The Canadian Geographer / Le Géographe canadien 62 (1), S. 40-54.

Wenn Du mitmachen möchtest, egal ob Du Vorkenntnisse hast oder nicht, kannst Du dies gerne tun. Wenn Du GeoDatenGuerilla folgen möchtest, geht das auf Mastodon.